





Ida Kammerloch &
Eine Suchbewegung zwischen persönlicher Familiengeschichte und kollektiver Erfahrung.
Seit 2021 beschäftigt sich Ida Kammerloch intensiv mit dem Reise- und Heimvideoarchiv ihres Großvaters aus den 1990er-Jahren, um ihrer eigenen (Familien-)Geschichte nachzuspüren. Im Mittelpunkt steht Aren’t you afraid to swing on Russian swings? – ein Film über ihren Großvater und die Transformation der bisherigen sozialistischen Lebensweise durch die Begegnung mit neuen kapitalistischen Zwängen. Die Perestroika ermöglichte neue Handelsformen, wodurch Menschen aus allen Bevölkerungsschichten, oft zum ersten Mal, ins Ausland reisten, um Waren zu erwerben und in ihrer Heimat gewinnbringend zu verkaufen. So wurden auch ihre Großeltern durch den Verlust der Arbeitsplätze zu Pendelhändler:innen. Über 13 Jahre lang importierte ihr Großvater Spielzeug, Plüschtiere und gefälschte Markenkleidung aus China. Passioniert dokumentierte er dabei seine rund 33 Dienstreisen und fängt die Dynamik sowie den Clash von Hoffnungen, Notlösungen und wirtschaftlichem Pragmatismus der postsowjetischen Gesellschaft ein.
Kammerloch zeigt eine Assemblage von Arbeiten, die in ihrer Auseinandersetzung mit dem Archiv entstanden sind, und führt so 30 Jahre später eine Bestandsaufnahme durch. Das Material ihres Großvaters tritt in Dialog mit eigenen Filmaufnahmen ihrer Reise zum Yiwu-Großmarkt in China – dem Epizentrum des modernen Handels. Mit ihrer Fotogrammserie Membrane of the new führt sie schließlich ein weiteres Medium ein, indem sie die leeren Plastikverpackungen von Spielzeugen in geisterhaft wirkende Fotogramme verwandelt. Ein selbstreferenzieller Kommentar – aus dem Massenprodukt wird Unikat.
Der Künstlerin gelingt es über die persönliche Ebene, strukturelle Themen zu adressieren: die Situation Russlands in den 1990er-Jahren, die Handelsbeziehungen zu China sowie die politischen Entwicklungen bis heute. Ihr Werk wird so zu einer komplexen Erzählung über Identität, Verlust und Anpassung. (Fabienne Bonus)